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Nicht nur im Fußballtempel ist immer was los in Dortmund

WM-Städte 2006 im Test

WM-Städte 2006 im Test Teil 3: Dortmund

Also doch wieder ich, dachte ich zunächst so bei mir, als die Redaktionssitzung zu Ende war und ich auch den dritten WM-Stadt-Test durchführen sollte. Sehr einfallsreich diese Schwalbe-Redakteure in ihrer Personenwahl. Na ja, was soll's, immerhin kenne ich mich in dieser Stadt ein wenig aus und kann daher eine besonders umfassende und objektive Bewertung von Dortmund als einer der WM-Städte von 2006 anbieten. Und als ganz besonderes Bonbon habe ich dann auch gleich beantragt, diesmal nicht nur einen Besuchstag zu machen wie bisher, sondern einfach mal zwei, da ich ja schließlich die Anreisekosten einspare. Irgendwie müssen die Spesen doch auf den Kopf gehauen werden. Und dann nehme ich auch noch ein Wochenende, damit ich nicht am nächsten Tag in die Redaktion muss.

Zudem kann ich ja mit den Ruhrgebietsleuten ganz prima (wir berichteten in Ausgabe 02-04), so dass ich sicher einige investigativ erfragte Geheimnisse und Skandälchen ans Licht bringen werde können. Meine Stimmung stieg mit jedem weiteren Gedanken. Also ein erster Pluspunkt auf meiner Liste für die Reporterwahl.

Überdies werde ich den Lesern in aller Welt einen besonderen Service anbieten, da ich momentan auf Unterarmgehhilfen angewiesen bin und mal die Behindertenfreundlichkeit der Stadt testen kann.

Mein erster Eindruck am ersten Erkundungstag war denn auch gleich ein positiver. Irgendwie fühlte ich mich auf Anhieb wie zu Hause. Kleine Störfeuer sendeten nur die ansässigen Lokalzeitungen aus: Die Baumaßnahmen zur WM haben zwar noch nicht begonnen, aber im Prinzip hat die Stadt hinsichtlich 2006 alles im Griff und der hier heimischen Borussia geht es zwar nicht gut, aber auch gar nicht so schlecht. Aha. Immerhin erscheinen diese Blätter nur auf deutsch, daher bleiben die meisten Touristen wohl von ihnen verschont.

Reporterwahl erste Sahne

Als Anlaufstation zum Start erschien mir zunächst die Touristeninformation sinnvoll. Hm, gibt es so was hier überhaupt? Dortmund - Perle des Reviers und Herz Westfalens, klar gibt es da so was. Um keine Zeit zu verlieren, fragte ich mich in der Einkaufszone durch. Das war ein großer Spaß und wir haben alle köstlich gelacht. TOURISTENinformation? Also bei einem gelungenen Witz lachen die Dortmunder auch mal gerne. Gefällt mir. Pluspunkt. Blöd allerdings, dass ich so leider doch keine Zeit einsparen konnte. Gut, dass ich zwei Tage Zeit habe. Daher fuhr ich einfach mal nach Bochum, stellte dort mein Auto ab und setzte mich in den nächsten Zug nach Dortmund. Schließlich reisen die WM-Besucher ja auch an. Da fällt mir spontan ein, dass es sich sicher lohnen wird, wenn ich zur WM vorübergehend nach Bochum ziehe und meine Wohnung an WM-Touristen vermiete. Dann wird die Reise zu meinem allmorgendlichen Tagesbeginn. Voller doppelter Vorfreude und etwas nervös hörte ich denn auch gefühlte 30 Sekunden nach der Abfahrt aus Bochum den Zugführer durchsagen, dass „wir verehrten Fahrgäste“ in wenigen Minuten Dortmund Hauptbahnhof erreichen werden. Teilnahmslos stiegen meine Mitinsassen aus. Ich aber freute mich auf ein kleines Abenteuer. Und höre da: Im Bahnhof wussten sie auch zu berichten, dass die Touristeninformation direkt gegenüber vom Hauptausgang sei. „Willkommen in Dortmund, dem Tor zu Europa!“ ?!?! Muss schon so eine Art Probelauf für 2006 sein. Meine verwunderten (aber hoch kenntnisreichen) Einwände ob dieses Slogan wurden aufgesetzt kompetent und beherrscht freundlich mit euphemistischem Prospektmaterial gekontert. Hoffentlich lesen die Besucher vor ihrem Dortmund-Tripp keine Reiseführer und stellen ebenfalls Fragen. …Reiseführer Dortmund? Auch darüber konnte die gute Dame nicht lachen. Also in der Einkaufszone wäre das ein „Brüller“ gewesen.

Gleismathematik und Bergbau

Die mir dennoch angepriesenen Sehenswürdigkeiten rissen mich nicht vom Hocker. Kannte ich alle bereits. Aber wo ich schon mal extra angereist bin… Und in fremden Städten rennt man ja auch kopflos in jede Kirche rein und redet sich ein, wie toll alles sei. Nun sind die christlich-religiösen Auswüchse in Dortmund etwas in den Hintergrund getreten. Erstklassig allerdings ein Besuch der Reinoldikirche (empfohlen). Geschätzte 5 Sekunden Gehweg gegenüber von dieser findet man nämlich die Marienkirche, und beide sind auch noch protestantisch. Was sich da wohl vor ein paar hundert Jahren abgespielt haben mag?

Erstklassig sind auch die infrastrukturellen Planungen und die Ideen zu Anreisemöglichkeiten in die Stadt und zum Stadion. Bei dem Thema nimmt man es ganz genau und überlässt nichts dem Zufall. Seit immerhin 2000 wird geplant und geschmideet und keines der Modelle wurde bislang ansatzweise umsetzend in Angriff genommen. Etwas verwirrend ist zudem die Gleisnummerierung am Bahnhof. Dortmunds Hauptbahnhof ist sicher einer der wenigen oder gar der einzige in Deutschland, wo man auch auf Gleis 31 einfahren kann. Ärgerlicherweise hat sich aber ausgerechnet an einem so zentralen und imagebildenden Standort offenbar der Bergbau der Stadt negativ ausgewirkt und die Gleise 1, 9, 12-15, 19, 22, 24, 25 und 27-30 in Bergsenken verschwinden lassen. Zur WM soll der Bahnhof aber eh ganz anders aussehen. Stararchitekten, Super-Modelle und potente Investoren und… Auf den Metro-Rapid wartet man in Dortmund bestimmt auch noch, wenngleich selbst der Nachfolger mittlerweile kein ernsthaftes Thema mehr ist.

„Berlin hat doch auch jahrelang einen Baustellen-Tourismus ausgelöst“

Eine der dagegen wirklich gelungeneren WM-Konzeptionen hat den Operativnamen „Baugruben-Riesenslalom“. „Berlin hat doch auch jahrelang einen Baustellen-Tourismus ausgelöst und siehe da, was nun dort entstanden ist.“ gibt Carsten Schmitz, Tourismusbeauftragter der Stadt dortmunderisch bescheiden und weitsichtig zum Besten. „Auch wir wollen uns von unserer stärksten Seite zeigen und die ist in Dortmund ja nun einmal traditionell unter Tage und damit unter dem Asphalt und der Grasnarbe zu finden. Das Gerede vom Strukturwandel klingt zwar gut und schön, aber eigentlich müsste man von Bauwandel reden.“ Eindrucksvoll wie DIESE Planungen schon jetzt tatkräftig angegangen werden, muss ich eingestehen. Auf dem Weg vom Bahnhof (2006 als Riesenbaustelle mit Besichtigungsplattform geplant) zum Stadion kann ich wählen: Entweder ich staue mich den Um- und Ausbau an der geplanten Hauptanreisestraße entlang oder ich kann zum DB-Bahnhof hinter dem Stadion fahren und da nicht aussteigen, weil Bomben und Bergbau ihre Wirkung eindrucksvoll versprühen. Immerhin fährt die U-Bahn. Von Vorteil ist dabei natürlich, dass die zukünftige Baustelle am Stadion den Besuchern gar nicht mehr weiter als störend auffällt.

Diese neumodischen, visionären und marketinggetränkten Auswüchse sind aber nur eine Seite der Stadt. Noch immer versprüht sie das, was eine Stadt im Pott ausmacht und von dem jeder Besucher denkt, dass es vorhanden sein muss. Kioske, Trinkhallen und Kneipen sowie Fast-Food-Läden auf der einen Seite - eine Philharmonie, eine Oper, Theater und derlei Kulturstätten auf der anderen Seite. Aber wir sind ja im Auftrag der Fußball-Kultur unterwegs und den Interessen der Sportbesucher verpflichtet. Daher wenden wir uns schwerpunktmäßig der ersten Seite zu und gelangen unumstößlich zu einem der Prunkstücke der Stadt: Der immer modernen Dreierkette von Hotel Bender, Mutter Köhm und Erni. Wer morgens um 0700 Uhr regelmäßig eine Ansammlung von besoffenen Nachtschwärmern, besoffenen Frühschichtlern und besoffenen Rockern problemlos in den Griff bekommt, keinen Widerspruch oder gar ungerades Sitzen duldet wie Mutter Köhm, muss ein guter Mensch sein.

Die Königin des kalten Buffets passt zu einem kleinen Stößchen

Alternativ die Großmarktschänke. Nicht zu empfehlen für etwaige südamerikanische oder afrikanische Fußballanhängerinnen. In einem Lokal, wo Knutschverbot herrscht, damit die arbeitenden Trucker nicht total geil werden, mögen auch diese Fans in ihren mir aus dem Fernsehen bekannten traditionellen Outfits Probleme hervorrufen. Da kommt mir noch einmal die Idee der Wohnungsvermietung in den Sinn. Wenn ganz exotische Reisende bei mir einziehen und traditionelle Riten vollführen und noch traditionellere Speisen in meiner Küche zubereiten wollen… Nicht, dass ich hinterher in Bochum bleiben muss. Hinsichtlich der Übernachtungsmöglichkeiten kann es dann aber eng werden. Hmm, ich überlege mir wohl noch einmal, meine Wohnung abzugeben, und die Hotels sind schon zu gut 85% von der FIFA, der UEFA und anderen FA-Organisationen gebucht. Andererseits sind das vermutlich sowieso die einzigen, die Karten für die Spiele in den Händen halten werden. Aber vielleicht ist das Kochen in Wohnungen gar nicht notwendig. Das kulinarische Angebot ist durchaus ausgewogen und weltoffen. Zu nennen sind da vor allem „die Königin der kalten Buffets“, das astreine Mettbrötchen, gern gereicht mit einem „Stößchen“ (Pils, ca. (π-√2): 10 Liter), oder auch der „Stramme Max“. Um Erni und Hotel Bender herum sind Döner die erste bis fünfundzwanzigste Wahl.

Erstaunlich die Informationen, die man mit noch immer schwerem Magen am zweiten NACHmittag über die Stadt erhält. Nach den Besonderheiten der Stadt befragt, antwortet manch Einheimischer, dass Dortmund die Stadt mit dem größten Grünanteil in Deutschland sei. Von einer „legendären 49%-Wanderung“ ist da die Rede. Hat allerdings natürlich noch nie einer mitgemacht. Immerhin beginnen „hinter dem Stadion“ tatsächlich einige grüne Erholungsflächen. Sonntagsnachmittags kann man da natürlich wunderbar und ungestört sich ein wenig erholen, wenn man nahezu allein mit dem Auto anreist, dieses auf eine nicht gekennzeichnete Parkfläche abstellt und dann für eine halbe Stunde mal richtig frische Luft schnappt und sich gänzlich gesund entspannt. Aber dafür wird man während der WM-Tage keine Zeit und auch keinen Sinn haben, gilt es doch einzig und allein, das eigene Team zu bewundern und zum Sieg zu begleiten. Damit sind dann zwar meine Tipps auch hinfällig, aber Hauptsache, ich bin auf meine Kosten gekommen.

Zusammenfassung:

Medien vor Ort

Magazine: Schwalbe u.a.

TOP ++

Lokalzeitungen:

FLOP --

Touristeninformation

um nicht ungerecht zu sein, gerade noch

±

Anreise

in die Stadt: internationaler Standard, aber umständlich und unpraktisch, weil Auto irgendwo

±

ins Stadion: internationale Spitzenklasse wie Berlin zu besten Zeiten

++

Gastronomie

astrein; alles, was man braucht, wenn man zum Fußball geht

++

Unterbringung

wie zu Hause (ist aber für den Urlaub auch scheiße); Hotels belegt

--

People

echte (lachend, redend, kommunikativ, offen)

++

unechte (visionär, in Touristeninformationen beratend)

-

Reporterwahl

einwandfrei; „die bestmögliche“ ist man geneigt zu sagen

+++

Fußballflair

ambivalent und so etwas zerstört; visionär und weltgewandt in der Selbsteinschätzung, aber eigentlich eher erfreulich dem Horizont der Nati-Kicker angepasst

±

Infrastruktur

auf dem Reißbrett: optimal

auf der Straße: abenteuerlich

±

Spezial

Behindertenfreundlichkeit (?) - upps, vergessen